Donnerstag, 30. Juni 2016

Music Day Mai 2016 - eine in jeder Hinsicht „klassische“ Highend-Anlage für weit mehr als nur klassische Musik

Ein Beitrag von Rainer Götz

Nachdem bei den letzten Veranstaltungen in der Reihe Music Day beim HiFi-Studio Wittmann moderne Aktivkonzepte mit ESP-Unterstützung erfolgreich vorgestellt wurden, spielte am 27. Mai 2016 eine ganz klassische Anlage, mit Röhren und passiven Lautsprechern, und zeigte, soviel sei schon vorweggenommen, dass auch in dieser Technik noch viel mehr Potential steckt, als von den Technologie-Freaks angenommen wird.

Kurz zu den Komponenten. Beginnen wir – in klassischer britischer Tradition die Wichtigkeit der Quellengeräte heraushebend – mit den Zuspielern: Der Lector CDP 707 kommt, seine Optik verrät es schon, aus Italien. Genauer aus Albuzzano in der Region Pavia (Lombardei), wo Lector die Geräte in Handarbeit fertigt. Der CDP 707 ist einer der selten gewordenen reinen CD-Spieler. Von Lector auf der Basis eines robusten Philips Laufwerks selbst entwickelt, also kein umgerüstetes Computer- oder DVD-Gerät. Ohne Digital- oder USB-Eingang und ähnlichem neumodischen „Zeug“. Dafür aber mit einem ausgelagerten Netzteil (das sogar gegen eines mit noch höherer Kapazität „aufgerüstet“ werden kann).

Außerdem einer Röhrenausgangsstufe mit zwei ECC 81-Röhren in Class-A-Triodentechnik und schaltbarem Digitalfilter mit 4- oder 8-fach Oversampling. Auflösung 24-Bit, umgesetzt mit den bewährten Digitalwandlern vom Typ PCM 1704. Wer es noch klassischer möchte, kann als Zubehör für EUR 190,- übrigens Holzseitenteile (wahlweise auch Plexiglas schwarz) ordern.

Weitere Besonderheit ist die mechanische Dämpfung des Lector CDP 707, welche auf die Kombination eines Chassis aus Flugzeug-Aluminium, Acrylelementen und diversen Entkoppelungen aus Messing und Gummi setzt.

Preise:
Lector Strumenti Audio CDP-707 mit PSU-3T Netzteil: 3.450,- Euro.
Lector Strumenti Audio PSU-7T Externes Upgrade Netzteil für CDP-707: 1.800,- Euro
Technische Beschreibung siehe: http://www.lector-audio.com/CDP707e.pdf

Der Thales TTT Slim ist ein absolutes understatement-Gerät. Auf den ersten Blick könnte er sogar für einen der vielen „Brettchen-Plattenspieler“ aus Tschechien oder England gehalten werden, so vergleichsweise unauffällig stellt er sich dar. Also kein Gerät für den neureichen Oligarchen, der mit einer Orgie in Chrom, Silber und Gold die neidischen Blicke seiner Besucher mit einem „bohrturmähnlichen“ Gebilde auf sich zu ziehen versucht.

Dabei hat es der TTT Slim „faustdick hinter den Ohren“. Der Antrieb eine Kombination aus Reibrad und Riemen. Die Stromversorgung erfolgt über Akkus, der TTT Slim läuft mit einer Ladung ca. 20 Stunden. Die Drehzahl von Motor und Schwungrad ist 12 x höher als die des Tellers, und durch die harte Kopplung wird deren Trägheitsmoment klanglich wirksam. Dies ermöglicht ein Antrieb über ein sorgfältig berechnetes Federelement, das sämtliche Vibrationen vom Chassis fernhält und trotzdem jede Rotationsbewegung des Motors um die eigene Achse unterdrückt.

Abgetastet wird mit einem legendären EMT System in einem tangentialen Drehtonarm, dem Thales EASY. Mit 6 Lagerpunkten werden 3 Nullpunkte für den horizontalen Abtastfehler plus 1 Nullpunkt für die variable Kröpfung des Headshells erzeugt – das ist einzigartig im Tonarm-Design.
Das bedeutet, dass der Tonabnehmer entlang der perfekten Abtastspur geleitet wird, genauso wie ein echter Parallel-Tangentialarm. Sowohl die perfekte Abtastung als auch die Seitenkräfte sind damit drastisch reduziert.

Verbunden sind die Quellengeräte mit der Vorstufe über Koaxialkabel von Tom Evans bzw. mit swisscables. Lautsprecher- und Netzkabel sind die formidablen Kabel von Ringmat Audio, deren deutscher Importeur Oliver Wittmann ist.

Als Vorverstärker kommt der Octave HP 700 zum Einsatz. Hier verweise ich auf eine ausführlichere Produktvorstellung hier in diesem Blog. Nur so viel: Es lief beim Music Day der HP 700 in „Vollausstattung“, also mit Phonoplatine und MC-Phonoeinschub, Regeleinheit mit Präzisionsklangregler, Balancesteller über kanalgetrennte Regler in 1-db-Schritten und Ausgangswahlschalter. Mit runden 18.000.- Euro exakt das Gerät, das in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift STEREO mit euphorischen Worten getestet wurde. Übrigens zusammen mit der Endstufe MRE 220 Mono plus SuperBlack-Box. Röhrenverstärker „at its Best“!

Damit ausreichend „Power“ bei den Lautsprechern ankommt, setzte Oliver Wittmann die leistungsstärksten Röhrenendstufen aus dem Octave-Programm ein, die MRE 220 Mono. Stereoplay hat in einem Test eine Ausgangleistung von 147 Watt an 8 Ohm bzw. 176 Watt an 4 Ohm gemessen. Als Röhren kommen die neuen KT 120 von Tung Sol zum Einsatz. Wie bei Octave inzwischen üblich, ermöglicht der Entwickler und Boss von Octave Audio, Andreas Hofmann, seinen Kunden den Austausch des Röhrensatzes mittels einfacher, aber exakter Einmessung der Arbeitspunkte über ein „Ampelsystem“ aus roten, gelben und grünen LEDs. Dies für die ganze Röhrenfamilie aus KT 88, 6550 und eben KT 120. Der dazu benötigte Schraubendreher wird mitgeliefert.

Das Gerät ist mit einer Einschaltstrombegrenzung ausgestattet. Sie schützt die Röhren vor Stromspitzen, die beim Einschalten auftreten. Heizung und Betriebsspannung werden langsam hochgeregelt, die Lebensdauer der Röhren wird dadurch deutlich verlängert. Parallel wird die Endstufe von einer elektronischen Sicherung überwacht. Bei Übersteuerung, Kurzschluss der Lautsprecherausgänge und Röhrendefekten wird die Endstufe abgeschaltet. Folgeschäden an den Lautsprechern bzw. an der Elektronik der Endstufe sind somit ausgeschlossen. Wem, wie dem Autor dieser Zeilen, schon einmal eine Röhrenendstufe „abgebrannt“ ist und dessen Wohnzimmer damit fast zwei Wochen nicht mehr betreten werden konnte, weiß solche Vorsorge zu schätzen.

Zur Netzteilverstärkung wurden die beiden Endstufen jeweils mit einer Super-Black-Box von Octave Audio ergänzt. Das Klangbild wird dadurch ruhiger und behält seinen Fluss, die einzelnen Klangkörper gewinnen an Kontur, die räumliche Abbildung wird tiefer. Die Stabilisierung des Netzteils bringt auch eine Erhöhung der Impulsleistung mit sich. Lautsprecher mit Impedanzlöchern um 2 Ohm können damit auch an die Endstufe angeschlossen werden. Besitzer von exotischen Elektrostaten, Magnetostaten oder Bändchenlautsprechern können so den Flair einer Röhre mit ihren nicht einfach anzutreibenden Lautsprecher kombinieren.

Das Paar MRE 220 wird zum UVP von 18.500,- Euro angeboten und ist – wie auch die Vorstufe HP 700 – in silber und schwarz erhältlich. Die Super Black Box steht mit 2.500,- Euro in der Preisliste. Weiterführende Infos siehe hier:
http://www.octave.de/en/htdocs/verstaerker/mre220.php
http://www.octave.de/pdf/stp_08_12_Octave.pdf

Als Lautsprecher kam ein Favorit von Oliver Wittmann zum Einsatz: Die 12.000,- Euro teure Sopra No. 2 von Focal. Ein Produkt, bei dem man erkennen kann, dass hier deutlich know-how aus der Utopia-Serie von Focal eingeflossen ist. Sichtbar wird dies bei dem von der Spitzen-Serie abgeleiteten Gehäuse-Design, mit nach vorne geneigtem Mitteltöner oberhalb des auf Ohrhöhe angebrachten Hochtöners. Dies dient dem gleichen Abstand der einzelnen Treiber zur Person im Hörsessel, also der zeitrichtigen Abstrahlung.

Bremsende Kompressionseffekte hinter der Hochton-Kalotte sowie das Signal verschleiernde Reflexionen durch diese tritt Focal mit dem „Infinite Horn Loading“-Verfahren, kurz IHL, entgegen. Das silberne Gitter auf der Rückseite dient diesem Zweck. An dieser Stelle dringen die rückwärtigen Schallanteile der Inverskalotte ins Freie um den genannten Störungen vorzubeugen. Dafür baut Focal ein komplettes Modul ein, das zugleich die Bass- und Mitteltönerkammern voneinander trennt.

Um den Bässen zu mehr Volumen zu verhelfen, trennt das mittig angeordnete IHL-System die beiden Gehäusehälften nicht vollständig voneinander. Als Hochtöner wird eine aus reinem Beryllium gefertigten 2,5-cm-Inverskalotte des verwendet. Seit 20 Jahren ein Maßstab für alle Lautsprecherbauer und dem modischen Diamant deutlich überlegen. Basslautsprecher und der Mitteltöner sind aus Sandwichmaterial (Kunstschaumkern und Glasfaserfolien) aufgebaut und mit neu entwickelten Sicken versehen, die letztlich störende Resonanzen unterdrücken sollen. Eine Lösung aus dem Bereich des Automobil-Rennsports, die von Focal adaptiert wurde.

Das Gehäuseinnere weist keine parallele Wand in seitlicher Richtung auf. Kleine Helmholtz-Resonatoren wurden im unteren Teil hinzugefügt, um stehende Wellen in vertikaler Richtung auszugleichen. Der Lautsprecher lässt sich über Spikes an den Boden ankoppeln. Eine elegante Glasplatte zwischen Lautsprecher und Spikefüssen erlaubt die präzise und einfache Ausrichtung. Soviel zur Technik und Beschreibung. Hier weiterführende Links:
http://www.focal.com/de/334-sopra
http://www.wittmann-hifi.de/hifi/archiv/test_focal_sopra2_stereo.pdf
http://www.connect.de/testbericht/focal-sopra-2-lautsprecher-test-3195231.html
http://www.soundstagehifi.com/index.php/equipment-reviews/890-focal-sopra-no2-loudspeakers

Nun zur entscheidenden Frage: Wie klingt das Ganze denn zusammen? Zur Einstimmung eine junge Sängerin aus Berlin: Britta-Ann Flachsenhar mit ihrem Trio und der CD „Standards“. Was hier auffiel, war die frappierende Offenheit der Aufnahme, deren Schnelligkeit, was sicher die Wenigsten als Attribut von Röhrenverstärkern und Passivlautsprechern sehen. Selbst heftige Pianoanschläge oder Kontrabass-Attacken bringen die Anlage nicht aus dem Tritt.

Dann Bigband-Jazz mit der Hanna-Fontana-Band, aufgenommen live im Juli 1975 auf dem Concord Jazzfestival. Man hört deutlich, es handelt sich um einen Open-Air-Mitschnitt aus Kalifornien. Eine klangstützende Halle mit Decke und Rückwand fehlen einfach. Es klingt richtigerweise „dünner“, aber wenn Carl Fontana mit seiner Posaune zu einem Solo ansetzt, da fetzt es gewaltig. Focal und Octave Audio bleiben davon unbeeindruckt.

Wechsel zu einem Duo Kontrabass und Orgel. Der Amerikaner Garry Karr spielt im holländischen Flentrop seinen Amati Bass aus dem Jahr 1611 (!) zusammen mit dem Organisten Harmon Lewis. Von Johann Sebastian Bach das Menuet aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach. Alles da: die Kraft der Orgel auch in den tiefsten Registern und der knorrige Kontrabass. Da läuft nichts im Klangbild zusammen oder „verschmiert“ gar. Beide Instrumente sind klar voneinander getrennt und harmonieren doch auf perfekte Art.

Jetzt wollen wir es wissen: Orchestermusik, lauter als es die meisten der Zuhörer im heimischen Wohnzimmer je reproduzieren könnten. Es spielt das Pittsburgh Symphony Orchestra unter dem österreichischen Dirigenten Manfred Honeck: Tchaikovsky, Sinfonie Nummer 6, die berühmte „Pathetique“. Erschienen übrigens auf dem Edel-Label „Reference Recordings“.

Trotz einer Lautstärke, die ein „Kippen“ des Raums oder des Hörvermögens des Zuhörers befürchten lässt, bleibt alles sauber. Keine Verzerrungen. Im Gegenteil. Kleinste Details, dort ein Triangel-Anschlag, dann perfekte Einsätze der Holzbläser usw. Wir sind hier dem Klangideal vom „offenen Fenster in den Konzertsaal“ näher, als dies der legendäre Peter Walker von Quad, von dem diese Beschreibung stammt, wohl in den 60er-Jahren gedacht hat.

Wechsel zu Vinyl: Auf dem Teller des Thales TTT Slim liegt von Nik Bärtsch Mobile, die ECM-LP „Continuum“. Freie Improvisationen fließen durch den Raum, kurze Pianoanschläge, dann ein tiefer, tiefer Bassimpuls gefolgt von einigen wuchtigen tiefen Schlägen auf den Tom-Toms. Keiner der Zuhörer wollte die Platte unterbrechen. Beide (!) LP-Seiten liefen nahtlos durch und faszinierten die Anwesenden. Phänomenal, was der optisch kleine Thales aus den Rillen zauberte.

Auch das Duo Nils Landgren und Janis Siegel mit der LP „Some other Time“, einer Hommage an Leonard Bernstein und dessen Kompositionen, zog die Zuhörer in ihren Bann. Hier passte einfach alles, und die Zuhörer gaben sich tatsächlich der Musik hin. Das Equipment war „nur“ noch Mittel zum Zweck, nämlich dem, der Musik möglichst nahe zu sein.

Zurück zur Erde dann mit einem Liveauftritt von Mel Torme im Club Marty’s in New York „Let’s Take a Walk Around the Block“ und „Mountain Greenery“. Macht Spaß, ist witzig und swingt wie der Leibhaftige …

Als Fazit bleibt also, die altbewährten Komponenten einer Highend-Anlage mit Passivlautsprechern, Röhrenverstärkern und Vinyl-Laufwerk sind noch lange nicht ausgereizt und haben – trotz der faszinierenden Konkurrenz durch Aktivlautsprecher und DSP-Technik – noch nicht ausgedient. Es kommt immer darauf an, wie ein Hersteller damit umgeht und was er daraus macht.

Die Firmen Lector, Thales, Octave Audio und Focal zeigen, wie ohne bahnbrechende neue Technologien, aber durch konsequente Weiterentwicklung des Bestehenden, herausragende Ergebnisse gezeitigt werden können. Es hat sich für alle Beteiligten wieder gelohnt, am Brückentag ins HiFi-Studio Wittmann nach Stuttgart-Botnang zu „pilgern“.

Wer es versäumt hat und wessen Interesse jetzt geweckt wurde, der möge mit Oliver Wittmann oder Markus Nolden einen Vorführtermin vereinbaren. Ansonsten sieht man sich beim nächsten Music Day am Donnerstag, dem 30. Juni 2016. Los gehts wie immer um 16:00 Uhr. Bin schon gespannt, was dann läuft …

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen